Latex-Maßanfertigung Teil 1: Schnittmuster für T-Shirts mit einem Experten herstellen
Ich starte nun eine neue Serie zur Herstellung maßgefertigter Latex-Kleidung. Im Internet gibt es hier und da immer wieder Schnittmuster zu kaufen. Es scheint sich ein richtiges Geschäftsmodell zum Verkaufen von Schnittmustern entwickelt zu haben - und die sind nicht einmal günstig. Aber solche Schnittmuster "von der Stange" mit einheitlichen Konfektionsgrößen passen ja bekanntlich nie perfekt, vor allem nicht bei Kleidung aus Latex. Jeder Mensch hat irgendwie seine eigenen Maße, niemand entspricht vollkommen der "Norm". Daher habe ich diesen neuen Ratgeber gestartet, um Schritt für Schritt zu zeigen, wie man eigene Schnittmuster erstellen kann.
Hierzu habe ich nun einen Mode-Experten an der Seite, der genau weiß, wie Schnitte richtig erstellt werden müssen. Immer wenn es hierzu interessante Fragen gibt, stelle ich sie ihm in einem kurzen Interview und zitiere hier seine Antworten.
Wir beginnen mit einem Schnittmuster für T-Shirts und führen unsere Versuche stückerweise weiter, bis wir letztendlich ein Schnittmuster für Catsuits und einen kompletten Latexanzug erstellen können. Starten wir doch aber mit etwas Einfacherem.
Frage an den Experten: Wie wird ein Schnittmuster überhaupt erstellt?
Antwort: Die Arbeit beginnt normalerweise am Reißbrett. Dort wird das Modell mit allen zugehörigen Einzelteilen gezeichnet. Für diesen langwierigen Arbeitsschritt braucht man aber viel Erfahrung, eine Ausbildung als Schneider oder ein Studium ist da mehr als hilfreich. Nur so hat man die nötige Grundlage, um aus dem Kopf heraus Schnittmuster zu zeichnen.
Maßanfertigung für ein T-Shirt
Damit das T-Shirt tatsächlich wie eine zweite Haut sitzt, muss der Körper zunächst vermessen werden. Wenn wir Latex als Grundmaterial nehmen, das hauteng sitzen soll, dann ist es wichtig, dass der Körper ohne anliegende Kleidung vermessen wird.
Wir kennen ja bereits aus einem vergangenen Tutorial einen Trick, wie Ihr mithilfe von Frischhaltefolie und Klebeband eure eigenen Schnittmuster speziell für euch erstellen könnt. Das funktioniert zwar, ist aber dennoch eine enorme Bastelarbeit, die nicht jedem liegt. Natürlich wäre es schöner, wenn wir uns direkt vermessen (oder vermessen lassen) und anhand dieser Grundlage unsere Latexkleidung erstellen könnten.
Frage an den Experten: Mit was soll ich meinen Körper messen?
Antwort: Nehmt ein flexibles Maßband aus Plastik oder Papier. Es kann auch ein Seil verwendet werden, aber das darf seine Länge nicht verändern, wenn man daran zieht. Sonst bekommt Ihr ungenaue Zahlen.
Frage an den Experten: Was soll ich genau messen?
Antwort: Es gibt klassische Messtabellen, an denen man sich orientieren sollte. Für ein T-Shirt braucht Ihr den Hüftumfang, den Taillenumfang, den Brustumfang, den Umfang der Oberarme, den Halsumfang und die Abstände der Umfänge zueinander. Also der Abstand zwischen Hüfte, Taille, Brust bis zum Hals. Wenn Ihr das für Latexkleidung macht und dabei entkleidet seid, könnt Ihr mit einem Filzstift ruhig die Stellen am Körper markieren, wo Ihr die Umfänge genommen habt. Dann könnt Ihr die Abstände zwischen den Umfängen einfacher messen. Ihr könnt auch Klebezettel nutzen, um die Stellen zu markieren. Wichtig ist auch noch der Abstand zwischen der Mitte der Hüfte in den Achseln. Das bezeichnen wir als Diagonale. Und wir brauchen den Abstand vom Hals bis zum Oberarm, also bis zu der Stelle, wo die Ärmel beginnen sollen.
Frage an den Experten: Nun haben wir die Maße, wie erstelle ich daraus ein Schnittmuster?
Antwort: Der Rest ist einfache Mathematik. Ihr habt nun die Durchmesser vom Bauch, der Hüfte etc. und den Abstand zwischen diesen Durchmessern. Genau das zeichnet Ihr auf ein großes Blatt Papier oder auf Karton. Da euer Körper symmetrisch ist, reicht es, wenn Ihr nur die Hälfte zeichnet.
Frage an den Experten: Mit was beginne ich beim Zeichnen?
Antwort: Das Einfachste ist, wenn Ihr mit der Symmetriekante beginnt. Das ist eine gerade Linie mit der Länge von eurer Hüfte bis zu eurem Hals. Dann zeichnet Ihr die untere Kante der Hüfte, das ist einfach eine Linie, im rechten Winkel zur Symmetriekante. Damit habt Ihr die erste Grundlage. Danach werden die einzelnen Abstände der Umfänge auf der Symmetriekante abgebildet und immer 90° dazu eine Linie gezeichnet, mit dem halben gemessenen Abstand, da wir ja nur die Hälfte durch die Symmetrie zeichnen.
Dann folgt die angesprochene Diagonale. Das ist der Abstand zwischen der Mitte der Hüfte (also unter dem Bauchnabel) bis zum Anfang der Achsel. Mit diesem Maß können wir die Seitenkonturen des T-Shirts bestimmen.
Den Umfang der Hüfte und Taille teilen wir durch 2 und markieren diese Hälften. Je nachdem wie groß die Taille bzw. der Bauch ist, verschieben wir die halbe Taillen-Linie bis zu 10% nach rechts, damit die Kante zwischen Hüfte und Brust keinen zu großen Winkel hat.
Damit haben wir unsere erste Schnittkante, die bis zur Brust geht. Da wir den Oberarm-Umfang gemessen haben, können wir vom Ende der Schnittkante eine Senkrechte Linie nach oben mit der halben Länge des Umfangs des Oberarmes ziehen. Das ist die Kante, wo später ein Ärmel angeklebt wird.
Nun folgt der Hals. Den Umfang haben wir bereits gemessen. Davon nehmen wir ein Viertel als Länge und zeichnen von der Symmetriekante eine 90°-Hilfslinie in dieser Länge. Dann wird der Halsausschnitt per Hand gezeichnet. Dann folgt der Abstand vom Hals zum Oberarm. Damit ergibt sich ein Abstand zwischen den Oberarm-Teilen. Was nun? Wir nehmen einen Zirkel und ermitteln für beide Abstände die Schnittkante. Das ist dann der Punkt, an dem sich beide Kanten treffen sollen.
Damit sind wir auch schon mit der Vorderseite fertig. Ich sagte ja, es ist einfache Mathematik. Man braucht nur etwas Vorstellungskraft, damit das Muster auch gelingt.
Frage an den Experten: Okay, damit haben wie die Vorderseite des Schnittmusters für unser Latex- T-Shirt. Nehme ich für die Rückseite das gleiche Muster?
Antwort: Nein. Das müssen wir nun noch separat erstellen. Aber wir haben dank der Vorderseite bereits alle Maße, die wir nun für die Rückseite benötigen. Schneidet die Vorderseite erst einmal vorsichtig aus. Dann könnt Ihr diese teilweise als Schablone für die Rückseite verwenden.
Übertragt die Vorderseite einmal komplett auf die Rückseite und zeichnet die Abstände zwischen den Durchmessern wieder ein und erstellt wieder im rechten Winkel zur neuen Symmetriekante die Hilfslinien.
Beim Erstellen der Vorderseite habt Ihr rechts durch das Übertragen der kompletten Durchmesser bereits die Maße für die Rückseite erstellt. Diese müssen nun nur noch auf die Rückseite übertragen werden, gemessen von der Symmetriekante aus. Dann die Kanten zeichnen.
Jetzt ist der Hals dran. Den Ausschnitt des Halses legen wir etwas höher. Die obere Kante ist aber mit der Vorderseite identisch. Dann die letzte Kante mit der Brust-Kante verbinden. Dort kommen später die Ärmel dran.
Nun fehlt aber etwas. Würden wir das Schnittmuster so verwenden, sind die Ärmel nur schwer zu konstruieren, da sie asymmetrisch wären. Das ginge zwar, sieht dann aber doch irgendwie schief aus. Also verwenden wir einen Trick zum Ausgleichen der Kanten, wo wir die Ärmel später ankleben wollen. Wir übertragen die Differenz der beiden Schnittmuster auf die Vorder- und Rückseite. Dann halbieren wir die Länge der Brustkante um die Differenz, so wie auf dem Bild. Von der Vorderseite entfernen wir das Stück, bei der Rückseite fügen wir es hinzu. Und schon passt alles. Das gleiche Prinzip könnt Ihr übrigens auch anwenden, um die Kante an der Taille auszugleichen. Das Besondere: Der Umfang bleibt bei diesen Veränderungen immer gleich. Wir verzichten aber auf weitere Optimierungen.
Frage an den Experten: Können wir die Rückseite nun auch einfach ausschneiden?
Antwort: Was haben wir wohl noch vergessen? Bei jedem Schnittmuster müsst Ihr die Nahtzugaben beachten. Das sind die Stellen, an denen zwei Einzelstücke zusammengenäht werden. Wenn Ihr mit Latex arbeitet, ist das natürlich genauso. Nur dass Ihr hier überlappende Klebekanten von bis zu einem Zentimeter einplanen solltet.
Fügt also bei der Rückseite eures Schnittmusters Klebekanten von 1cm hinzu. Ich setze dort immer kleine "x x x" hinein, damit ich später weiß, dass es Klebekanten sind. Es ist aber euch überlassen, wie Ihr die Klebekanten markiert.
Frage an den Experten: Jetzt sind wir aber wirklich fertig?
Antwort: Ja, nachdem wir die Rückseite nun auch ausgeschnitten haben. Und die Ärmel fehlen natürlich auch noch. Das sollte auch kein Problem mehr sein. Die Länge der Ärmel-Kante von der Vorder- und Rückseite wird nebeneinander auf ein neues Stück Karton übertragen. Es folgen wieder Schnittkanten im 90°-Winkel.
Dann tragen wir ab, wie lang der Ärmel werden soll. Da wir den Umfang der Oberarme ausgemessen haben, können wir die abschließende Ärmelkante auf den Oberarmumfang reduzieren. Dann die Kanten ausgleichen (die werden dann nicht mehr parallel zur Mittellinie sein). Klebekanten hinzufügen, ausschneiden und damit sind wir fertig.
Frage an den Experten: Wow, das war echt ein großer Aufwand für das Schnittmuster. Arbeiten Profis genau so?
Antwort: Im Prinzip ja, obwohl jeder seine eigene Taktik entwickelt hat, die Maße zu nehmen und aufs Papier zu übertragen. Die Schritte sind aber an sich die gleichen.
Frage an den Experten: In unserem Schnittmuster sind nun sehr gerade Schnittkanten vorhanden, macht man das so?
Antwort: Wenn Ihr Latex verarbeitet, ist es enorm schwierig, Kurven zu kleben. Daher haben wir den Großteil der Kanten gerade gelassen. Im Modedesign würden die Kanten freihändig etwas abgerundet werden.
Fazit
Mode ist keine Zauberei. Im Gegenteil: Es ist mit der richtigen Technik sogar eine einfache Möglichkeit, seinen eigenen Stil perfekt umzusetzen. Ein Schnittmuster ist dafür die perfekte Grundlage. Das müsst Ihr euch aber nicht kaufen. Schnittmuster können mit ein bisschen Aufwand auch selbst erstellt werden und wenn sich eure Figur nicht ständig verändert, könnt Ihr immer wieder eure Latexkleidung auf Maß herstellen. Übrigens: Wellpappe eignet sich nicht so sehr für das Schnittmuster. Nehmt lieber Papier oder flache Pappe ohne Wellen.
Vielen Dank an Flo aus Berlin, der sich die Zeit nimmt, als Experte unsere Fragen zu beantworten. Er wird sich auch für die nächsten Teile der Serie Zeit für uns nehmen. Wir freuen uns auf Eure Kommentare und Fragen, die unser Experte auch gerne beantwortet, sobald er Zeit dafür hat. Auch Danksagungen sind in den Kommentaren gerne gesehen.
Im nächsten Teil der Tutorial-Serie für Maßanfertigungen zeigen wir euch, wie Ihr ein Schnittmuster für eine Latexhose auf Maß erstellt.